Amélie Nothomb

  • Eine von mir äußerst geschätzte Schriftstellerin ist die Belgierin Amélie Nothomb. Sie wurde 1966 als Tochter eines belgischen Diplomaten in Kobe (Japan) geboren, wo sie ihre ersten fünf Lebensjahre verbrachte. Sie verlebte ihre gesamte Kindheit an verschiedenen Orten, bis sie im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal nach Europa, genauer gesagt Brüssel, kam.
    Aus Einsamkeit begann sie zu schreiben. Nach einem Romanistik-Studium zog sie nach Tokio, wo sie einige Jahre in einem Großunternehmen arbeitete. Ihre Kindheit und ihren beruflichen Werdegang beschreibt sie in einigen ihrer sarkastisch-ironischen Büchern.
    1992 beschloß sie endgültig, Europäerin zu werden, kehrte nach Brüssel zurück und veröffentlichte im selben Jahr ihr erstes Buch "Die Reinheit des Mörders". Heute lebt sie in Paris und Brüssel. Ihre Romane stürmen regelmäßig die französischen Bestsellerlisten.


    Amélie Nothombs Bücher zeichnen sich nicht nur durch eine erfrischende Kürze aus (einige Werke gehen nicht über 120 Seiten hinaus) und bestehen häufig aus extrem viel Dialogen. Sie schreibt darüber hinaus äußerst skurrile, makabere, komische und tragische Storys, ihr Stil ist nicht leicht zu beschreiben, ich kenne nichts Vergleichbares...ein Kritiker der Zeitschrift "Stern" beschrieb ihre Bücher einmal sehr treffend: "Amélie Nothombs fröhlich-kluge Schauermärchen sind Messerstechereien in Worten, schockierend und oft zum Brüllen komisch. Sie ist schon sonderbar, die Welt der Amélie. Und notorisch grausam."
    Dem ist nichts hinzuzufügen...ich denke allerdings, man liebt sie oder man findet ihre Literatur scheußlich. Dazwischen gibt es nichts. Ihr bislang kontroversester Roman entstand 2007 unter dem Titel "Reality-Show". In dieser gnadenlosen Satire auf Casting-Shows betreibt ein fiktiver Fernsehsender eine Sendung, bei der die Kandidaten "Big Brother"-ähnlich in einem Gefangenenlager leben, und das Fernsehpublikum per Knopfdruck entscheiden kann, wer von den Teilnehmern hingerichtet wird. Nothombs kurze Romane sprühen vor Ideen, wahnwitzigen Einfällen und beißendem Spott. Nicht für jeden geeignet, aber nichtsdestotrotz grandiose Literatur.


    Bislang auf Deutsch erschienen (alle Bücher im Diogenes-Verlag, die Zahlen in Klammern bezeichnen das Erscheinungsjahr in Frankreich):


    "Die Reinheit des Mörders" (1992)
    "Liebessabotage" (1993) :thumbup:
    "Der Professor" (1995) :thumbup:
    "Attentat" (1997) :love::love:
    "Quecksilber" (1998) :love:
    "Mit Staunen und Zittern" (1999) :thumbup:
    "Metaphysik der Röhren" (2000)
    "Kosmetik des Bösen" (2001) :love:
    "Im Namen des Lexikons" (2002) :thumbup:
    "Böses Mädchen" (2003) :thumbup:
    "Biographie des Hungers" (2004)
    "Reality-Show" (2005) :thumbup:
    "Der japanische Verlobte" (2007)
    "Winterreise" (2009) :thumbup:
    "So etwas wie ein Leben" (2010) :thumbup:
    "Den Vater töten" (2011) :thumbup:
    "Blaubart" (2012) :love:
    "Eine heitere Wehmut" (2013)

  • Stimmt, hatte ich mal ins Auge gefasst, danke fürs erinnern creed :D
    Grade Quecksilber und Reality-Show (was für eine krankgeile storyline :thumbup: ) interessieren mich sehr – nächste rebuybestellung mal nach der guten frau suchen!

    I saw the best minds of my generation, starving hysterical naked
    dragging themselves through the negro streets at dawn looking for an angry fix
    ________________


    Allen Ginsberg: Howl

  • ich kenne nur ihre ersten bücher, die waren
    beweis einer könnerin, aber ich habe sie nicht
    recht ins herz geschlossen, anderen den vorzug gegeben.


    leider kann man nicht, und wenn man es noch so will,
    allen guten schriftstellerinnen und schriftstellern,
    mit ihrem werk, folgen :)

  • So, ich habe eben Amélie Nothombs "Böses Mädchen" beendet...wie immer bei dieser Schriftstellerin ist das Buch recht kurz, makaber, böse und mit einem perfiden Humor ausgestattet.
    Das Psychoduell zweier heranwachsender 16-jähriger Mädchen glänzt mit klugen, rasanten Dialogen (eine der großen Stärken der Nothomb) und das Ende der Geschichte ist wieder einmal recht spontan und läßt Raum für eigene Interpretationen...
    Schon für die wirklich garstige Story kann ich 5 von 5 Sternen vergeben...und freue mich auf ihr nächstes von mir noch nicht gelesenes Buch! :thumbup:

  • Ausgelesen: "Den Vater töten" von Amélie Nothomb.


    Auch dieser Roman meiner Zweitlieblingsautorin ist mit knappen 120 Seiten recht kurz, dafür erzählt sie rasant und auf den Punkt mal wieder mit einer großen Portion Zynismus und Boshaftigkeit die Geschichte eines jungen Magiers und Trickkünstlers, der sich in die schöne Freundin seines Ziehvaters verguckt und nichts unversucht läßt, um seinen Mentor aus dem Rennen zu werfen. Die entscheidende Konfrontation findet dann auf dem jährlichen 'Burning Man'-Festival in der Wüste von Nevada statt. Eine "Vater-Sohn"-Geschichte der durchgeknallten Art.


    Garniert wird die von Nothomb wie üblich schräg geschilderte Story mit tiefgründigen Schilderungen menschlicher Verhaltensweisen und psychologisch interessanten Charakteren. Das Ende kommt überraschend und läßt den Leser noch eine Weile darüber nachdenken. Amélie Nothomb gelingt es mit jedem Buch aufs Neue, unterhaltsame, makrabre und hochgradig skurrile Plots zu entwerfen, die sie mit ihrem ganz speziellen Schreibstil erzählt.


    Fazit: Von der Frau habe ich noch nie einen Totalausfall gelesen, und auch dieses Buch packt einen durch die rasante Story und die herrlich fiesen Dialoge. Für mich sind ihre Bücher stets eine wahre Freude!


    Bewertung: *****

  • Ausgelesen: "Blaubart" von Amélie Nothomb.


    Nach Alfred Döblin, Max Frisch, Kurt Vonnegut und einigen anderen Schriftstellern widmet sich nun auch Amélie Nothomb einer Adaption des französischen Märchens "Blaubart"...und sie nähert sich dem Thema auf ihre ganz eigene schräge und philosophische Art.
    Die Story: Eine junge Belgierin findet in Paris ein spottbilliges Zimmer in einem eleganten Stadtpalais, welches von einem spanischen Adligen bewohnt wird, dessen bisherige acht Untermieterinnen spurlos verschwanden. Wird die junge Frau dem Charme des mysteriösen Mannes erliegen und Opfer Nummer 9? Wird ihre Neugier ihr Tod?


    Einen Großteil des (wie immer bei Mademoiselle Nothomb) recht kurzen Romans nimmt die wörtliche Rede ein. Seitenlange, geschliffene Dialoge voller Ironie, Sarkasmus und Klugheit, für die die Autorin berühmt ist, die quasi ihr Markenzeichen sind. Nothomb beschreibt Orte und Situationen nur kurz umrissen; die rasanten Wortgefechte sind ihr stets am wichtigsten. Die Dialoge pendeln zwischen Philosophie, Groteske, Drama und Ironie und machen aus den Werken der Schriftstellerin kluge Unterhaltungslektüre mit Tiefgang.


    Natürlich verläuft Nothombs "Blaubart" anders als das Märchen, sie nimmt den Plot lediglich als Aufhänger und spinnt ihre eigene Story weiter.Der Grundinhalt der Geschichte, die verhängnisvolle weibliche Neugier, bleibt jedoch erhalten. Das neue Werk der Autorin zeigt eindrücklich, dass sie auch nach bisherigen 18 in Deutschland erschienenen Romanen ihr Pulver noch nicht verschossen hat.


    Fazit: Entweder man liebt Amélie Nothomb oder man kann mit ihren Büchern nichts anfangen...ich liebe sie. Makabere, exzentrische und schlaue Unterhaltung einer Autorin, die sich stets abseits des Mainstream bewegt und gerade deswegen in Frankreich ein Literaturstar ist.


    Bewertung: *****+

  • sie ist wirklich eigenartig die frau nothomb. :thumbup:
    es gibt wohl kein märchen das ich in so vielen varianten genossen
    habe und welches soviel von verdruss, neugier und makaberness weiss.
    das buch von a.n. muss beizeiten in meine sammlung. :)


    siehe auch den märchen-thread.

  • Biographie des Hungers


    ist für mich das zweite Buch, was ich von Amélie Nothomb lese, vorher kannte ich nur "Reality Show", welches ich irgendwann mal in einem Ein-Euro-Laden (!!) in der Ramschkiste zusammen mit ein paar Cora-Heftchen fand -- vielleicht der Glücksfund meines Lebens :thumbup: "Biographie des Hungers" ist ein autobiographischer Roman, der sich an zwei Themen entlang hangelt. Natürlich ist da Nothombs Kindheit und Jugend, um die geht es hier. Sie umschreibt sehr eindrucksvoll, interessant und wissenswert verschiedene Länder und Kulturen, in denen sie als viel herumreisende (und viel herumreisen müssende) Tochter eines Diplomaten Teile ihrer jungen Jahre verbracht hat. Das Buch erstreckt sich von Anfang der 70er bis in die späten 80er und springt dabei nicht wahllos durch die Zeit, sondern klappert Japan, China, USA (New York), Burma, Laos, Belgien und dann wieder Japan nacheinander ab. Was erstmal gar nicht so interessant klingt, macht Nothomb zu einer jeweiligen Reise in die Kultur der verschiedenen Länder, und besonders ist dabei der kindliche Blickwinkel -- denn sie war ja sehr jung, als sie bespielweise im China des Maoismus lebte (nur als eines von vielen Beispielen). Das schafft sie sehr gut, sie nimmt diesen Fokus auf das, was sie damals gesehen hat, eigentlich nie weg. Das Buch besteht aus vielen herzlichen Anekdoten, der rote Faden ist eigentlich immer das Weiterreisen...
    Und der Hunger. Denn wie schon der Titel sagt, um diesen geht es auch in diesem Buch, er ist eigentlich sogar das Hauptthema. Hunger definiert Nothomb hier nicht als einfach nur der Hunger nach etwas zu essen, sondern als den Hunger nach allem, wonach man nur Hunger haben kann. Hunger nach Liebe, Hunger nach Wissen, Hunger nach Hunger. Immer wieder begegnet das Mädchen in ihrem sehr sehr abwechslungsreichen Leben in verschiedensten Ländern der Welt neuen Formen des Hungers, entdeckt diese für sich und stellt fest, dass sie vielleicht die hungrigste Person auf der ganzen Welt ist.
    Der Roman hat mich wirklich sehr beeindruckt. Sprachlich wunderschön und über alles erhaben, führt einen Nothomb durch so viele Jahre auf so wenig Seiten, so viele Länder und so viel Leben und doch kriegt man alles mit, erfährt eine unglaubliche Fülle an Kulturen, Geschichten und Gefühlen.
    "Biographie des Hungers" ist also für mich eine glatte 9/10, ein fast perfektes Buch -- und sicher nicht das letzte, was ich von dieser Frau lese, oh nein, demnächst wird da so einiges bestellt :thumbup:

    Auf dem Flur hatte sich eine Traube aus Menschen gebildet. Sie schmeckte vorzüglich.


    meine Bücher 2016

    3 Mal editiert, zuletzt von Blackbox ()

  • Ausgelesen: "Mit Staunen und Zittern" von Amélie Nothomb.


    Eines der preisgekrönten und verfilmten Werke der belgisch-französischen Autorin, und wieder ein Volltreffer! "Mit Staunen und Zittern" ist eines von mehreren Büchern von Amélie Nothomb, die stark autobiografisch geprägt sind. Zwar enthält jeder Roman von ihr versteckte Anspielungen auf ihr Leben, einige Bücher jedoch gehen speziell auf Selbsterlebtes ein.


    Im Alter von 23 kehrte Amélie Nothomb, die als Tochter eines belgischen Diplomaten in Japan geboren wurde und ihre Kindheit dort verbrachte, in ihr Geburtsland zurück, um für ein Jahr im kaufmännischen Bereich des Yumimoto Unternehmens zu arbeiten. Was dann folgt, ist ein urkomischer Bericht über den Zusammenprall der europäischen mit der japanischen Kultur, wie immer mit Ironie und unheimlich bissig und grotesk erzählt, wie man es von Nothomb kennt und liebt. Sie beschreibt ausführlich die Hierarchie in derartigen Unternehmen, die Rolle der Frau in Japan und die Arbeitsmentalität in diesem Teil der Welt.


    Überspitzt, politisch absolut unkorrekt und gewiß mit ein paar erfundenen Details aufgewertet, wirkt das Buch trotz allem sehr realistisch. Amélie Nothomb beschreibt selbstironisch, wie sie im Ansehen der Japaner durch selbst fabrizierte Fehler und Unkenntnis immer tiefer sinkt, bis sie schließlich die Arbeit als Toilettenfrau im vierundvierzigsten Stockwerk des Unternehmens zugeteilt bekommt.
    Auch in diesem Roman sind (wie in allen Werken dieser Schrifstellerin) die rasanten, ausgedehnten Dialoge hervorzuheben, die gleichermaßen sarkastisch wie intelligent sind. Überhaupt ist auch dieses Buch der Nothomb wieder (bei aller Absurdität) durchaus nachdenkenswert und tiefgründig.


    Fazit: Ich kann auch nach elf gelesenen Werken von Amélie Nothomb keinen Schwachpunkt ausmachen, jedes Buch hat mir bislang auf verschiedene Art und Weise gefallen. Dieses hier zeigt den witzigen Kulturkampf zwischen Ländern und Geschlechtern...satirisch, bissig und interessant. Und mit Recht mit dem 'Grand Prix de l'Académie francaise' ausgezeichnet.


    Bewertung: *****+

  • Ich habe ja mit "Biographie des Hungers" jetzt schon ein autobiographisches Werk von Nothomb gelesen, "Mit Staunen und Zittern" klingt in deiner Beschreibung quasi wie eine Fortsetzung... würde mich sehr interessieren, danke für die schöne Review :)

    Auf dem Flur hatte sich eine Traube aus Menschen gebildet. Sie schmeckte vorzüglich.


    meine Bücher 2016

  • Nichts zu danken, Blackbox! :)


    "Mit Staunen und Zittern" hat sie ein paar Jahre vor "Biographie des Hungers" geschrieben...ich denke, ein wenig greifen ihre autobiographischen Werke stets ineinander. Ansonsten behandeln auch die Bücher "Liebessabotage" und "Der japanische Verlobte" Abschnitte ihres Lebens...

  • Ich würde Dir "Kosmetik des Bösen", "Quecksilber" oder "Der Professor" als Einstieg empfehlen, Power. Bei diesen Büchern kannst Du sehr gut feststellen, ob Dir der recht spezielle (für mich wunderbare) Schreibstil von Amélie Nothomb zusagt.
    Und ich bin jetzt schon sehr auf Deine spätere Meinung gespannt! :)

  • Ausgelesen: "Attentat" von Amélie Nothomb.


    Nach langer Zeit ein Buch der Autorin, welches meine bisherigen Favoriten der Nothomb verdrängt und sich still und leise an die Spitze gesetzt hat...
    Einfach ausgedrückt ist "Attentat" Amélie Nothombs Version von "Die Schöne und das Biest". Epiphane, ein junger Mann, der als abgrundtief häßlich geschildert wird, verliebt sich in eine wunderschöne junge Schauspielerin, die sich von seinem Gesicht offenbar nicht abgestoßen fühlt. Er wird ihr bester Freund und Vertrauter, traut sich jedoch nicht, seine Liebe zu gestehen. Noch nicht...und als er es tut, verändert es alles...


    Das Buch ist ein typischer Nothomb-Roman: Er ist boshaft, zynisch, witzig, abstoßend, klug, nachdenklich, satirisch. Er eckt an und macht sich neben dem Hauptthema (der Überbewertung von Schönheit) außerdem bitterböse über die Modeindustrie, Kunst- und Autorenfilme sowie über Misswahlen lustig und hält jedem von uns den moralischen Spiegel vor. Nicht jeder kann mit dieser gnadenlos und ungeschminkt geschilderten Ehrlichkeit etwas anfangen, was die vielen schlechten Kritiken im Internet zu diesem Buch erklären könnte. Immer wieder schreibt Amélie Nothomb wunderbar wahre Sätze, die man sich an die Wand hängen möchte. Aber auch hier gilt: entweder man liebt oder man hasst diese Schriftstellerin...dazwischen gibt's nichts.


    Das Ende gestaltet sich gewohnt makaber und die Wortgefechte (ein Kennzeichen der Autorin) sind rasant und intelligent. Für mich ihr bislang bestes Werk und ein weiterer Grund, warum Amélie Nothomb sich unter meinen drei Lieblingsschriftstellern befindet.


    Fazit: Wieder ein Werk, dass man zum Antesten der Autorin prima lesen kann, da es sämtliche Zutaten enthält, die die Autorin kennzeichnen...witzig, bitterböse, schlau. Ein wunderbares Buch!


    Bewertung: *****+