Ausgelesen: "Denen man vergibt" von Lawrence Osborne.
Interessant an Osbornes Romanen (zwei wurden bislang ins Deutsche übersetzt, darunter das vor kurzem von mir gelesene Werk "Welch schöne Tiere wir sind") sind u.a. die Schauplätze, die mir bisher selten oder gar nicht in Bücher erschienen sind. War es in "Welch schöne Tiere wir sind" die griechische Insel Hydra, so spielt "Denen man vergibt" in der marokkanischen Wüste. Diese Schauplätze entfalten sich dank Osbornes anspruchsvoll und metaphernreich formulierten Sprachstils sehr plastisch vor den Augen des Lesers.
Ein weiteres Merkmal ist, dass keiner der jeweiligen Protagonisten wirklich sympathisch erscheint, was auf einen gewissen Realismus hindeutet. Strahlende, integre Helden gibt es in Lawrence Osbornes Büchern nicht.
Kurz zur Handlung: Ein englisches Ehepaar überfährt in der marokkanischen Einöde auf dem Weg zu einer Party einen einheimischen Straßenhändler, was im Laufe der nächsten Tage unheilvolle Konsequenzen nach sich zieht.
Die dreitägige, dekadente und drogenlastige Party beschreibt Osborne extrem detailliert, abstossend und fantasievoll. Gerade diese Dekadenz in einem Landstrich, der von Armut, schwerer Arbeit und Entbehrungen geprägt ist, verleiht der Geschichte zusätzlichen Zündstoff. Die marokkanischen Verwandten des Toten sind dem westlichen Leser zwar aufgrund ihrer Lebens- und Denkungsweise seltsam fremd, wirken gegen die zugekoksten Partygäste in ihrer pervertierten, kitschigen Festung jedoch bei weitem moralischer. Gerade dieser Zusammenprall der Kulturen verleiht dem Buch einen erzählerischen Tiefgang, den schon "Welch schöne Tiere wir sind" ausgezeichnet hat. Auch die klugen und gut formulierten Dialoge regen oft zum Nachdenken an.
Letztendlich sind Osbornes Romane keine Thriller im eigentlichen Sinne (obwohl darin stets Menschen ums Leben kommen), vielmehr handelt es sich um menschliche Dramen, bei denen ein kurzer Augenblick, eine nicht zuende gedachte Handlungsweise über Leben und Tod entscheiden und das Schicksal der jeweiligen Protagonisten dramatisch beeinflussen.
Fazit: Auch dieser Roman Lawrence Osbornes ist durchaus zu empfehlen, er stellt moralische Fragen, handelt von Schuld und Sühne, ist sprachlich hervorragend und auf eine schleichende, tragische Art und Weise spannend.
Bewertung: *****+