»Die Story ist immer das Wichtigste«
Christian Endres im Gespräch mit Nate Southard
Hallo Nate. Hast du schon immer auf Literatur gestanden?
Aber ja. Einen Großteil meiner Kindheit habe ich mit der Nase in irgendeinem Buch gesteckt verbracht. Meistens Mystery- und Geistergeschichten und Bücher über urbane Mythen. Als ich älter wurde, hatten es mir besonders Stephen Kings frühe Kurzgeschichte angetan. Das brachte mich zu Robert McCammon und Clive Barker. Seither ist mein Lektüre äußerst breit gefächert und ich lese so oft wie möglich über alle möglichen Dinge.
Hast du noch mehr Lieblingsautoren?
Sogar sehr viele. Peter Straub, Norman Partridge und Laird Barron sind vermutlich meine drei Favoriten. Ich lese alles, was sie schreiben. Nach den drei kommen Gillian Flynn, Tom Piccirilli und Sarah Langan. Sie alle verfügen über einen erstaunlichen Stil, und du kannst beim Lesen ihrer Prosa beinahe spüren, wie viel ihnen jedes ihrer Worte bedeutet.
Haben deine Lieblingsautoren Einfluss auf deine eigenen Werke?
Natürlich. Ich versuche oft, die Geschichten zu schreiben, die ich selbst gern lesen möchte. Deshalb finde ich Bücher, die mir gefallen, sehr inspirierend. Die Autoren, die ich eben genannt habe, sorgen dafür, dass ich permanent an mir arbeite, damit meine Schreibe immer besser wird. Die von mir gelesenen Sachen sind der Standard, mit dem ich meine eigenen Werke vergleiche. Wann immer ich also etwas lese, das mir Freude bereitet, möchte ich selbst etwas schreiben, das mich genauso begeistert.
Was hat eigentlich den Ausschlag gegeben, dass du Autor werden wolltest?
Lange Zeit wollte ich Comics und Drehbücher schreiben. Prosa zu verfassen hatte mich nicht besonders interessiert. Das kam erst, nachdem ich mehr und mehr Kurzgeschichten las. Dadurch erwachte in mir der Wunsch, selbst Erzählungen zu schreiben.
Wie hast du härtere Horror-Stoffe für dich entdeckt? Nur durch Bücher, oder auch durch Filme?
Ehrlich gesagt, es waren hauptsächlich Bücher. Ich war noch nie ein großer Fan von Hardcore-Horror-Filmen. Was ich wirklich mochte, war der spanische Film Kidnapped, doch die meisten anderen Sachen ließen mich eher ziemlich kalt. Allerdings ist es toll gewesen, mich durch Jack Ketchums Werke zu wühlen. Dann fing ich an, Brian Keene und Edward Lee zu lesen, und ihr Sinn für Humor, der Hand in Hand mit ihren unglaublich grausamen Geschichten einhergeht, traf mich wie ein Blitz.
Wie lange hast du gebraucht, deinen eigenen Ton zu entwickeln?
Ich glaube, dass ich meinen eigenen Ton ziemlich schnell gefunden habe. Die Entwicklung hält aber noch immer an. Alles, was ich jetzt schreibe, erscheint mir stärker als das, was ich davor geschrieben habe. Permanentes Verbessern ist meines Erachtens etwas, wonach jeder Autor streben sollte.
Hast du auch schon fertige Geschichten in den Papierkorb geworfen?
Es gibt ein paar Storys, bei denen hab ich es aufgegeben, zu versuchen, sie in Magazinen oder Anthologien unterzubringen. Sie sind nicht so stark, wie ich es erhofft hatte, und ich habe keine Lust, Neufassungen von ihnen zu schreiben.
Sind die Ideen dann ganz verloren?
Wenn eine Idee nicht funktioniert, gehe ich sie meistens in Form einer ganz neuen Geschichte an, anstatt zu versuchen, die existierende Story umzuschreiben.
Erzählst du uns ein bisschen mehr über deine Arbeitsweise?
Die hängt natürlich vom Projekt ab. Ich fange gern mit einer Outline an, selbst wenn ich mich beim Schreiben nur selten eng an diese Outline halte. Viele Bücher werden geschrieben, indem man »es fließen lässt«, aber die mit dieser »Methode« verfassten Bücher brauchen viel mehr Überarbeitung als Bücher, die anhand einer Outline geschrieben werden.
Weißt du immer schon am Anfang, welche Figuren überleben und welche nicht?
Eher nicht. Jedes Mal, wenn ich eine neue Kurzgeschichte oder einen neuen Roman anfange, habe ich eine Idee, wer überleben könnte, doch die Todesrate ist dann immer deutlich höher, als zu Anfang gedacht.
Brauchst du eine besondere Stimmung oder irgendwelche Rituale, bevor du mit dem Schreiben loslegst?
Kaffee. Viel davon. Ich wache gegen 4.30 am Morgen auf und schreibe, bevor ich zur Arbeit gehe. Aufmerksam und geistig anwesend zu sein, ist also der schwierigste Part. Allerdings bevorzuge ich es, morgens zu schreiben. Wenn ich mich reingraben und schreiben kann, bevor ich Interesse am Rest des Tages entwickle, ist das Geschriebene klarer und besser.
Dieser klare Stil, den du hast, wirkt immer so einfach. Aber er macht beim Schreiben einige Mühe, oder?
Es kann ziemlich frustrierend sein. Ich wäre gern ein Autor, bei dem sich die Atmosphäre langsam aufbaut und die Handlung nach und nach abspult, aber das scheint mir nie zu gelingen. Ich fange an und plötzlich rase ich los. Es ist eine echte Herausforderung, Stimmungen zu erzeugen und die Geschichte zu erzählen, ohne direkt von Punkt A zu Punkt B zu gehen und die Prosa dabei trotzdem simpel und geradlinig zu halten.
Geht Story über Stil, oder sind sie gleichberechtigte Partner?
Ich finde, die Story ist immer das Wichtigste. Und die Figuren sollten noch vor der Story kommen. Das ist nur meine Meinung, doch diese Sicht hat mir bisher gute Dienste geleistet.
Hast du das Gefühl, dass das Ansehen eines Genre-Autors – eines Horror-Autors – geringer ist als das anderer Autoren?
Ich schätze sogar, dass es wesentlich geringer ist, obwohl es nicht so sein muss. Es gibt unglaubliche Schriftsteller, die im Genre aktiv sind und dabei zugleich die Kluft zwischen Genre und ernsterer Literatur hervorragend überbrücken. Peter Straub und Sarah Langan haben einen wunderbaren Stil. Sarah Court von Craig Davidson und Nach dem Ende von Alden Bell sind beides fantastische literarische Romane mit Horror-Elementen, und sie haben mich dazu inspiriert, selbst neue Dinge beim Schreiben auszuprobieren.
Blockiert dich der »Genre-Gedanken« an manchen Tagen?
Ich habe eigentlich nie Schreibblockaden. Ich hatte schon Tage, an denen ich nicht schreiben wollte, und es gab Projekte, die nach der Hälfte versandet sind, aber das war eher das Ergebnis schlechter Planung und schlechter Stimmungen und lag nicht an irgendeiner Blockade. Wenn ich in eine Situation stecke, in der etwas nicht funktioniert, neige ich dazu, einfach über diese Stelle hinwegzuschreiben und nur das blanke Gerüst dessen stehen zu lassen, was in dieser bestimmten Szene passieren muss. Das kann ich dann in der nächsten Überarbeitung richten.
Gerade zu Beginn deiner Karriere hast du viele kurze Texte geschrieben. Hängt dein Herz immer noch an der Kurzstrecke, obwohl du jetzt primär Romane schreibst?
Ich schätze die Form der Novelle noch immer. Darin haben Autoren wie Laird Barron und Norman Partridge brilliert, und ich genieße die Herausforderung, eine größere Geschichte in einem kleineren Rahmen zu erzählen.
Wie lange dauert es, bis ein Roman wie DOWN fertig ist?
Für DOWN habe ich ungefähr zwei Jahre gebraucht. Die erste Fassung war nach zwei, drei Monate fertig, aber danach gab es mehrere Überarbeitungen, während ich aber noch andere Deadlines berücksichtigen musste. Alles in allem also zwei Jahre, wie gesagt.
Fängst du deine Romane erst an, wenn das Exposé von einem Verlag gekauft wurde, oder schreibst du die Bücher einfach und siehst, was passiert?
Vor zwei Jahren ist es mir endlich mal gelungen, einen Roman allein aufgrund einer Idee zu verkaufen. Normalerweise muss ich erst das komplette Werk schreiben und versuche anschließend, es zu verkaufen.