Die Tagebücher
des Helmut Krausser sind mit ihrer Laufzeit ein äußerst ambitioniertes Projekt (gewesen), auch formal interessant und eine gewisse Neuerfindung des Konzept (da Krausser jedes Jahr nur einen Monat lang sein Leben und seine Ansichten mit der Welt teilt, und nicht einfach alle 12 Monate eines einzigen Jahres Tagebuch führt). Ich ging an sie heran, mit dem Wissen, dass ich hier ein wirklich großes Projekt vor mir habe, dass speziell diese Tagebücher nicht gerade unumstritten sind.. Und wurde überrascht durch einen sehr leichten Einstieg, ein gutes Durchrutschen, und einem wunderbaren Einblick in Kraussers Innenwelt sowie (und das noch viel mehr) seine Sicht auf die Außenwelt.
Man mag vielleicht meinen, dass man sehr langen Atem braucht, um diese fast 2000 Seiten, diese ganzen Monate all der langen 12 Jahre Leben durchzustehen -- aber ich fand die Tagebücher allesamt einfach zu lesen, und auch schnell. Ja, gerade der Aufbau der einzelnen Tageskapitel mit den vielen kleinen Abschnitten, manchmal nur ein Satz Gedanke, nur selten mehrere Seiten Berichterstattung oder Gedankengang, macht dieses Werk leicht zu konsumieren. Manch einen mögen die Schnipsel auch dazu verleiten, bewusst langsam zu lesen; und sicher, man könnte ein ganzes Jahr mit diesem Werk genießen und von Mai bis April mit Krausser durch die Tage schreiten.. aber um auf solche Gedanken zu kommen, hat mir die Lektüre viel zu viel Spaß gemacht.
Wenn man sich für Kraussers Prosa und Lyrik begeistern kann, dann kann man auch gut in den Stil der Tagebücher einsteigen (der zu Beginn übrigens noch experimenteller und zuweilen patziger ist, später berichtet er eher laid-back und nimmt sich auch desöfteren mehr Zeit für bestimmte Ausführungen). Jedem Krausser-Leser lege ich diese Tagebücher ans Herz, denn: sie sind nicht nur riesige Widerspiegelung der Ansichten und Standpunkte ihres Verfassers (größtenteils zu Literatur und Musik, und zu deren Rezeption in der allgemeinen Gesellschaft und speziell im Kunstbetrieb und Feuilleton), geben einen tiefen Einblick in seine Arbeit und erläutern Teile dieser aus erster Hand und lassen am ganz normalen Alltag teilhaben.. Sie sind ganz nebenbei auch noch voll sprachlichem Gold (denn auch wenn es ganz normale Passagen gibt, kann der Herr seine genialen sprachlichen Fähigkeiten auch fürs Tagebuch führen nicht wirklich ablegen..), immer wieder mit wunderbaren Gedichtsprenkeln versetzt.. und machen letztendlich einen Mordsspaß, sind sehr unterhaltsam!
Für diese Erfahrung 8/10 Punkten. Und durch die vielen Einblicke ist Kraussers Gesamtwerk in meiner Achtung noch mehr gestiegen.